Soziale Markwirtschaft
Konzept versus Status Quo
Soziale Marktwirtschaft beruht auf einem christlichen und liberalen Menschenbild von personaler Freiheit und Verantwortung, von Subsidiarität und Solidarität. Private Initiative und ein rechtlicher Ordnungsrahmen für die Sicherung des Wettbewerbs, für den erforderlichen sozialen Ausgleich, gegen wirtschaftliche Übermacht und auch überzogene Staatinterventionismus waren wichtige Bedingungen für eine humane Gesellschaft und für wirtschaftlichen Erfolg.
Mit wachsendem Abstand von den konzeptionellen Entwürfen der Jahre vor und nach 1945 und ihrer Umsetzung verändert sich jedoch die heutige soziale Marktwirtschaft zunehmend im Vergleich zur eigentlichen Konzeption.
Die Aufgabe des Staates wurde nach dem zweiten Weltkrieg genau definiert: die Freiheit der Unternehmen und Konsumenten, Wettbewerb und soziale Sicherung in ein neues Verhältnis zu bringen.
Wettbewerb war ein zentraler Punkt im Wirtschaftleben. Der Staat hatte einen Rechtsrahmen zu erschaffen und zu gewährleisten, dass wirtschaftliche Übermacht die Rechte der Schwächeren nicht gefährdete. Anstatt zentrale Planung und Lenkung des Wirtschaftslebens vertraute man auf Innovation, Modernisierung und Verbesserung der Lebensverhältnisse für alle Bürger.
Freiheit, fairer Wettbewerb und die Belange der Schwächeren mussten durch Machtverteilung, einer intakten Judikative und gesellschaftlichen Regeln gesichert werden. Willkür und Machtmissbrauch sollte verhindert werden, ungerechtfertigte Privilegien beseitigt und der soziale Ausgleich gefördert werden. Vor allem die dezentralen Strukturen und das Handeln des Staatsapparates sicherten diese gesellschaftlichen Freiheitsräume. 1948 wurde neben der Währungsreform die Preiskontrollen, die Bewirtschaftungsvorschriften und Bezugsscheine aufgehoben. Das Warenangebot stieg rasant und die privaten Investitionen nahmen in gleicher Weise zu. Dies zeigt den Erfolg einer liberalen Wirtschaftspolitik, ohne jedoch die Belange der Masse außer acht zu lassen.
Armin Müller Armack beschäftigte die Frage, wie eine erfolgreiche Verbindung von erneuertem liberalen und christlich – sozialen Denken entstehen könnte. Er kam zu dem Schluss, dass „der Weg zu einer solchen Synthese nur über die Wiederherstellung einer echten Marktwirtschaft gehen kann“ und dass „wir zu einer sozialen Marktwirtschaft kommen müssen.“ Müller – Armack besaß ein Menschenbild des freiheitlichen und verantwortlichen Bürgers. Es entwickelte sich ein ordnungspolitisches Konzept, das persönliche Freiheit, ökonomische Effizienz und soziales Engagement miteinander verknüpfte.
Der persönliche & volkswirtschaftliche Erfolg waren nicht mehr von staatlichen Verordnungen abhängig, sondern von Eigeninitiative und persönlichem Einsatz.
Zu Beginn gab es das gravierende Problem der Arbeitslosigkeit. Erhard setzte sich damals mit seiner Meinung durch und gab der Geldwertstabilität den Vorrang vor der Vollbeschäftigung und staatlich finanzierten Programmen zur Ankurbelung der Wirtschaft. Erhard ermöglichte die Tarifautonomie, so dass auch in diesem wichtigen Punkt der Staat keine Einflussnahme erhielt. Die Bank Deutscher Länder, deren Nachfolger die Deutsche Bundesbank ist, setzte mit beachtlichem Erfolg ihr Instrumentarium zu Bekämpfung der Inflation ein. Es folgte eine Steuerreform, wodurch Investitionen für Unternehmen lukrativer wurden. Es lohnte sich wieder zu investieren bzw. zu produzieren. Kurzfristig gingen Arbeitsplätze bedingt durch Produktivitätssteigerung durch Rationalisierung verloren. Doch bald wurden wieder neue Arbeitsplätze geschaffen und die Arbeitslosigkeit ging spürbar zurück. Ein weiteres Beispiel für die Rückführung von Monopolen und Preissteuerung seitens des Staates oder privaten Personen war die Lockerung der Mietpreisbindung. Ab den Jahren 1953 / 1954 gab es eine stärkere Förderungen von Eigenheimen. Die Mitbestimmung jedes Einzelnen auch in der Wirtschaft wurde 1952 mit dem Betriebsverfassungsgesetz unterstützt. Die Arbeitnehmer konnten Betriebsräte wählen und erhielten erhebliche Mitwirkungsrechte. Um eine absolute liberale Wirtschaftspolitik zu verhindern wurde ein Kartellamt und damit verbunden eine Fusionskontrolle geschaffen. Es klingt paradox, aber durch diese staatliche Kontrolle wird ein fairer Wettbewerb innerhalb der Wirtschaft gewährleistet.
Ein enormes Wirtschaftswachstum („Wirtschaftswunder“) und eine sparsame Haushaltsführung ermöglichten den Aufbau der BRD und spiegeln den Erfolg der noch jungen sozialen Marktwirtschaft wieder. Diese schuf die Grundlage für den wirtschaftlichen Aufschwung, sozialen Frieden und der freien Entfaltung persönlicher Initiativen.
Anfang der sechziger Jahre wurden erste Bundesunternehmen privatisiert, wodurch sich der Staat mehr und mehr auch aus Schlüsselpositionen der Wirtschaft zurückzog. Mit der Zeit wuchsen die Erwartungen der Bürger an den Staat. Er sollte z.B. Einfluss auf die Konjunkturentwicklung nehmen. Karl Schiller (SPD, späterer BMW der großen Koalition) forderte „so viel Markt wie möglich, so viel Planung wie nötig“. So wurde der Grundgedanke der sozialen Marktwirtschaft, wodurch der Staat der Versuchung konjunkturpolitischer Investitionsprogramme widerstehen muss, langsam untergraben. Ende der sechziger Jahre wurden mit dem verabschiedeten Stabilitäts- & Wachstumsgesetz solche Programme ermöglicht. Es stellte sich allerdings heraus, dass die Wirkung solcher Programme erheblich überschätzt wurde.
Mit Willi Brandt wurde der öffentliche Aufgabenbereich erweitert und somit die personale Verantwortung beschnitten. Expansive Ausgabenpolitik und Verschuldung ersetzten die sparsame Haushaltspolitik. Staatliches Handeln sollte auf den gesamten gesellschaftlichen Bereich ausgedehnt werden. In den siebziger Jahren erlebte die bundesdeutsche Wirtschaft durch großzügige Lohnerhöhungen einen inflationären Schub. Die staatlichen Sozialausgaben verdoppelten sich. Gleichzeitig stieg die Staatsverschuldung und die Inflationsrate. Es gelang nicht mittels staatlichen Eingriffen die stark gestiegene Arbeitslosigkeit nachhaltig zurück zu führen bzw. die Staatsfinanzen zu konsolidieren.
Unter Helmut Kohl erstrebte man eine Korrektur der verschobenen Verhältnisse von Marktmacht, Verbandsmacht und Staatsmacht. Des weiteren sollten die Staatsfinanzen saniert, Sozialbereiche stabilisiert und die Staatsquote gesenkt werden. Es sollte zu einer Renaissance von Eigenverantwortung bzw. Subsidiarität, den Grundgedanken der sozialen Marktwirtschaft, kommen. Die Neuverschuldung stieg verhältnismäßig geringer, Steuern für Betriebe und Arbeitnehmer wurden gesenkt. Weitere Bundesunternehmen wurden privatisiert (z.B. Deutsche Telekom). Eine Stabilitätspolitik und niedrige Zinsen förderten private Investitionen und damit verbunden den Konsum. Ende der achtziger Jahre war eine positive Wende eingetreten.
Die Wiedervereinigung allerdings brachte dramatische Veränderungen mit sich. Die Währungsunion, der Aufbau von Landesverwaltungen und des öffentlichen Dienstes, die Reformierung der ehemaligen Planwirtschaft der DDR, die Einführung eines Rechtsstaates, Umgestaltung der Justiz und der Aufbau einer funktionierenden Infrastruktur waren Aufgaben, welche binnen eines kurzen Zeitraumes erfüllt werden mussten. Viele ehemalige DDR Unternehmen gingen in die Insolvenz und viele ostdeutsche Arbeitnehmer verloren ihre Arbeit. Um den Aufbau Ost zu finanzieren mussten hohe staatliche & private Transferleistungen erfolgen. Die Konsequenz war ein Anstieg der Steuern bzw. Abgaben und der Staatsverschuldung. In den neunziger Jahren kam es in Gesamteuropa zu einem verlangsamten Wirtschaftswachstum, so dass auch ohne die Wiedervereinigung die Arbeitslosigkeit in der BRD anstieg.
Die heute wichtigsten Reformaufgaben der sozialen Marktwirtschaft sind die Ausrichtung der BRD auf die weltweite Marktöffnung (Globalisierung) und den damit verbundenen internationalen Wettbewerb und die Reformierung der Sozialsysteme aufgrund des demographischen Wandels.
Die Globalisierung wird zu einem Abbau von Handelshemmnissen, Öffnung von Märkten (z.B. der asiatische Raum à China) und zur Liberalisierung des Kapitalverkehrs führen, welche durch enorme Innovationsschübe vorangetrieben werden wird (z.B. Kommunikationstechnologien à Internet). Nationale Grenzen werden an Bedeutung verlieren, so dass autonome nationalstaatliche Gestaltungsmöglichkeiten eingeschränkt werden. Dies entlässt den Staat jedoch nicht von seiner Verantwortung.
Die Globalisierung erfordert Reformen, um bessere Bedingungen für private Investitionen, Entwicklung & Herstellung und den damit verbundenen Konsum von Produkten zu gewährleisten. Dies erfordert eine entsprechende Beschäftigungsentwicklung und effektive Sozialsysteme. Die Staatsverschuldung muss durch eine sparsame Ausgabenpolitik zurückgeführt werden. Die BRD hat im Vergleich mit anderen Nationen den Malus eines Steuersystems, einer Arbeitsmarktordnung und einer Sozialordnung, welche in der Summe hohe Kosten für die Wirtschaft und den einzelnen Arbeitnehmer verursachen. Eine Reform mit dem Ziel der Vereinfachung des Steuersystems ist deshalb unabdingbar, um ausländische Investoren für den Standtort Deutschland zu gewinnen.
Ein weiterer Punkt ist die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. Es müssen Spielräume für firmenbezogene Vereinbarungen geschaffen werden.
Die Sozialgesetzgebung ist mit Ziel zu reformieren, die Lohnnebenkosten so weit wie nötig zu senken, damit Deutschland im internationalen Vergleich keinen Malus mehr besitzt. Die Übermäßige Inanspruchnahme von Lohnersatzleistungen und die damit verbundene selbstverschuldete Unmündigkeit vieler Arbeitssuchender ist durch eine Sanktionierung bei Verweigerung zumutbarer Arbeit zu vermindern. Die Konsequenz ist eine Entlastung der sozialen Systeme und eine Renaissance personaler Eigenverantwortung sein. Es ist allgemein anerkannt, dass Innovationen vor allem durch freiheitlichen Wettbewerb zu verdanken sind. Staatliche Planung bzw. eine überzogene Subventionspolitik für überkommene Wirtschaftszweige (z.B. Bergbau) ist demzufolge ebenfalls zu ändern.
In der sozialen Marktwirtschaft hat sich der Staat darauf zu konzentrieren, die Wettbewerbs- & Innovationsfähigkeit der Wirtschaft durch geeignete Rahmenbedingungen, speziell durch die Förderung von Bildung, Ausbildung & Forschung zu verbessern. Die intellektuelle Elite muss durch leistungsgerechte Besoldung im Land gehalten werden, so dass eine Abwanderung vermieden wird.
Die soziale Sicherung muss mit dem Ziel gestaltet werden, dass auch weiterhin Mitbürgern, die nicht am Wettbewerb teilnehmen können, ein menschenwürdiges Leben ermöglicht wird. Die wirtschaftliche Leistungskraft und Motivation darf nicht geschwächt werden. Es muss der Versuchung einer staatlichen Vollversorgung widerstanden werden, wodurch die Prinzipien der Eigenverantwortung untergraben und die Finanzierungskosten in enorme Höhen getrieben würden. Der demographische Wandel ist ebenfalls zu beachten. Die steigende Lebenserwartung und der Rückgang der Geburtenzahlen führen zu einer längeren Inanspruchnahme der Sozialleistungen. Die Ausgaben müssen korrigiert werden, um unzumutbare Beitragszahlungen zu verhindern. Größere Krankheitsanfälligkeit im Alter bzw. Mehrfacherkrankungen erhöhen die Kosten der Kranken- & Rentenversicherung. Die Lebensarbeitszeit muss dementsprechend der Lebenserwartung angepasst und somit die Beitragsjahre zur Entlastung aller erhöht werden. Eine stärkere private Altersvorsorge ist dringend erforderlich. Dies ist eine weitere Rückkehr zur Eigenverantwortung, um dem Staat nicht die volle Verantwortung für die Gestaltung des Lebensabends zu geben.
Zusammenfassend kann man sagen, dass die Hauptaufgabe der Reform der sozialen Marktwirtschaft darin besteht, „den Weg aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit“ (Immanuel Kant) jedes einzelnen Bürgers zu beschreiten. Die soziale Marktwirtschaft wurde auf der personalen Eigenverantwortung jedes einzelnen Individuums begründet. Jedoch hat sich mit der Zeit durch die natürliche menschliche Bequemlichkeit diese Eigenverantwortung immer mehr an Stellenwert verloren. Der einzelne Bürger muss sowohl zum Schutz der Allgemeinheit, als auch zum eigenen Wohl dazu gebracht werden, diese Verantwortung zu übernehmen und zu Leben. Die Globalisierung beinhaltet viele Risiken und Gefahren. Allerdings wohnt in jedem Risiko auch immer eine Chance inne. Die Anfänge der sozialen Marktwirtschaft hat gezeigt, dass durch kurzfristig schmerzhafte Reformen Schaden angerichtet wird (z.B. Arbeitsplatzabbau durch Rationalisierung), diese jedoch mittel- & langfristig sich zum positiven wenden können (Wirtschaftsaufschwung).
Anne Mutz, Yvonne Bürvenich, Peter Nettekoven